Max Ludwig

Sehr geehrter Herr Herausgeber!

Sie hatten die Freundlichkeit, mich zu einer Skizze meiner Entwicklung aufzufordern - viel Erwähnenswertes wüßte ich freilich über mein Leben nicht zu sagen.
Langweiligerweise schon begann es mit meinem Geburtstag, der in das Jahr 1873 fiel, gerade in die Zeit, als der Wein und die Pfirsiche reif wurden. Eine kleine Neigung für diese Früchte ist mir allerdings auch geblieben, obwohl ich den Wein allerdings mehr im vergorenen Zustande liebe und ihn überdies leider mehr schätze als habe.
Besonderer Vorzeichen bei meinem Eintritt in die Welt vermag ich mich nicht zu erinnern; mir läuteten nicht einmal die Glocken, denn die Glöckner schlafen zur Nacht. Ich versäumte auch nichts, sie schlugen mir später noch manchmal; zuweilen waren sie mir sogar verhaßt, wenn sie mir auf meinem Spielplatz das Zeichen zur Heimkehr gaben.
Dieser Haupttummelplatz war der bekannte Zwinger in meiner Vaterstadt Dresden, und eine gewisse Neigung zur Romantik ist mir von jenem Orte ebenso geblieben wie von meiner nächtlichen Ankunft her eine Vorliebe für Sonne und leuchtendes Tageslicht und Licht überall. Daß mich in der Schulzeit irgendein literarischer Ehrgeiz gequält hätte, wüßte ich nicht. Als Fünfzehnjährigen etwa zogen mich zuerst Schiller und Shakespeare in ihren Bann, die dramatische Dichtkunst also, während ich zu Goethe und den Modernen erst später in ein näheres Verhältnis kam. Dagegen war ein anderer Drang schon seit spätestens dem zehnten Jahre in mir rege, derselbe, der mich später zwang, auf die dresdner Kunstakademie zu gehen. Denn ich bin - für mich möchte ich vielleicht sagen: glücklicherweise - von der neckischen Natur ähnlich bedacht worden wie Münchhausens Hase, der, mit je vier Beinen bauchabwärts und rückenaufwärts begabt, bei Ermüdungserscheinungen der einen oder auch nach Neigung sich der unteren wie der oberen nach Gefallen bedienen konnte. Welcher meiner beiden Leidenschaften, der malerischen wie der literarischen, die Ehre der Bauchseite gebührt, wage ich nicht zu entscheiden; meinem Gefühl nach befinde ich mich, ob ich der einen wie der anderen nachgebe, immer in der natürlichen Lage.
Doch da hier nur mein Werdegang als Schreiber zur Frage steht, kann ich die anderweitige Tätigkeit beiseite lassen und erwähne von ihr nur noch, daß ich während meiner Akademiezeit meine ersten schriftstellerischen Versuche machte, zwei Dramen natürlich, die wieder zur Ruhe in den Kasten kamen, wie ein bald darauffolgendes drittes. Ein paar Verse gelangten schon weiter, aber weder von den Versen noch von der literarischen Zeitschrift, in der sie erschienen, ist noch etwas vorhanden.
Nach einigen Jahren, die eine ziemlich unruhige Wander- und Militärzeit umfassen, sowie mancherlei Versuche, mich wirtschaftlich selbständig zu machen, gelangte ich wiederum zu einem Schauspiel, das indessen ebenso spurlos verschwunden ist.
Um die Jahrhundertwende entstand dann ein Drama, das einen der Kämpfe des Burenvolkes gegen England schildert und dem es wenigstens soweit besser erging, als es sich nicht nur über ein Jahrzehnt erhalten hat, sondern sogar später noch einer Überarbeitung erfahren hat. Dazwischen liegt jedoch eine ziemlich ereignisreiche Zeit, ereignisreich wenigstens für mich, und nicht ohne einige natürliche dramatische Akzente. Denn sonderlich leicht wurde mein weiterer Weg mir nicht.
Ich hatte inzwischen nach meiner Verheiratung im Jahre 1903 Dresden verlassen und mich nach Frankfurt a. Main gewandt, das ich 1907 wieder verließ, um nach einem längeren Abstecher über den Schwarzwald nach München überzusiedeln. Da mir der Weg zur Bühne verschlossen blieb, schrieb ich hier noch im gleichen Jahre meine erste (freilich ursprünglich auch schon sehr viel ältere) Erzählung "Marianne", der der eben vorausgegangene Aufenthalt im Schwarzwald seine Färbung gab. Doch folgte unmittelbar darauf, da alte Liebe sich eben nicht unterdrücken läßt, das Drama "Jenatsch", das indessen bis jetzt noch ebensowenig wie seine älteren Genossen im Druck erschienen ist, während "Marianne" schließlich von dem weiblichen Recht des Vortritts in dieser Angelegenheit Gebrauch machte.
Von 1919-13 entstanden dann die drei Zeitromane "Der Kaiser", Das Reich", "Die Sieger", worin ich versuche, dem, was uns im äußeren Leben so stark bewegt, dem "Politischen", einen dichterischen Ausdruck zu geben. Ich rechne unbedenklich auch den "Kaiser" zu den Zeitromanen, obwohl seine Handlung historisch ist. Aber er behandelt eine der größten Fragen unseres Völkerlebens, die ich glaubte, so am besten fassen zu können.
Weit ab von allem "Politischen" aber liegt das Drama "Sebalt", das kurz vor dem Kriege entstand und mit besonderer Verwendung des alten Pygmalionmotivs ganz Innerliches zu Anschauung zu bringen sucht. Es wartet ebenso wie seine anderen Brüder noch auf die deutsche Bühne, die zufällig einmal sich mehr auf die Pflege einheimische Gewächse verlegen sollte. Denn die Bühne ist mein eigentliches Ziel. Was ich auf ihr erreichen will, möchte ich jedoch lieber tun als sagen. Zum Schluß habe ich nur noch die Befürchtung, daß Sie, verehrter Herr Herausgeber, mir vorwerfen könnten, ich hätte mich zu sehr als Mann ohne Schatten gemalt. Aber erstens darf ich - wie es sich für einen, der über sich selber schreibt, gebührt - natürlicherweise an mir keinen Schatten sehn, und zweitens möchte ich niemanden des Vergnügens berauben, solche selbst aufzufinden.

Ihr sehr ergebener Max Ludwig

(Das literarische Echo, Egon Fleischel & Co./Berlin, 19. Jg, Heft 11, 1. März 1917)